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DIE-DREI-RIESEN - MÄRCHEN

DIE-DREI-RIESEN - MÄRCHEN

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Erstes Kapitel: Die Riesen erscheinen

Eines Morgens wurden die Bewohner aus dem Schlaf aufgeschreckt: Ihre Hütten schwankten hin und her, während vom Berg lautes Krachen und Poltern ertönte. Verängstigt rannten sie auf die Plattformen hinaus und suchten nach dem Grund. Der war nicht schwer zu erkennen: Auf dem felsigen Gebirgshang im Westen waren drei Riesen aufgetaucht. So groß, dass die umstehenden Bäume wie Gesträuch zu ihren Füßen wirkten. Jeder von ihnen konnte die Ansiedlung am Seeufer mit ein paar Fußtritten zerstören.

Auf Drängen der Siedler begab sich Mateo, der Führer der Gemeinschaft, zu den unerwünschten Besuchern. »Darf man wissen, was Euch herführt?«, fragte er vorsichtig, um die Eindringlinge nicht unnötig zu reizen.

»Gut, dass du nachfragst«, sprach der größte Riese. »Das beschleunigt die Sache. Ich bin Gohlguh, der Älteste der Sippe. Und das sind meine Brüder Gormosch und Gagath. Wir sind weit gewandert, bis wir entdeckt haben, was wir suchen. Aber jetzt haben wir eine neue Heimat und ihr neue Herrscher gefunden: Wir werden uns hier niederlassen und erwarten von euch, dass ihr uns zu Diensten seid.«

»Was verlangt ihr?«, fragte Mateo besorgt, nichts Gutes ahnend.

»Ihr versorgt uns mit Essen und Trinken und mit allem, was wir sonst noch benötigen.«

»Dazu sind wir nicht in der Lage. Ihr habt sicher einen Appetit, der eurer Größe entspricht. Wenn wir den stillen, haben wir selber nichts mehr und werden verhungern.«

»Das ist euer Problem«, lachte der Riese. »Für heute wollen wir euch entgegenkommen und uns damit begnügen, dass ihr fünfzig Körbe mit Verpflegung heranschafft. Morgen müssen es dann schon hundert sein und übermorgen dreimal so viel. Denn jeder von uns benötigt hundert Körbe für sich allein, um satt zu werden. Diesen Tribut müsst ihr jeden Tag leisten. Dafür werden wir euch vor euren Feinden beschützen.«

»Aber wir haben gar keine Feinde«, wandte der Vorsteher ein. »Wir leben mit unseren Nachbarn am Mondsee im Einvernehmen.«

»Um so besser für uns alle«, lautete die Antwort. »Dann haben wir weniger Arbeit!«

»Und was geschieht, wenn wir eure Forderung nicht erfüllen?«, fragte Mateo, obwohl er sich die Antwort schon denken konnte.

»Dann werden wir uns selber holen, was uns zusteht!«, drohte der Riese. »Und wenn wir fertig sind, wird von eurer Ansiedlung nichts übrig sein.«

 Der Riese deutete mit einer Handbewegung an, dass er die Unterhaltung für beendet betrachtete. Und begann dann, sich mit seinen Brüdern auf dem Gebirgshang häuslich einzurichten. Dem verstörten Anführer der Siedler blieb nichts anderes übrig, als sich entmutigt zu entfernen.

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Zweites Kapitel: Die Beratung

»Was wollen sie von uns?«, fragten die Leute, als Mateo mit sorgenschwerer Miene zurückkehrte.

»Wir sollen sie mit Nahrung versorgen und mit allem, was sie sonst noch benötigen«, berichtete der betrübt. »Ich habe sie nicht davon abbringen können.«

Ein Wehklagen ging durch die Reihen. Denn jeder wusste, dass ihnen das nicht möglich war. »Was können wir tun, um sie loszuwerden?«, fragte man schließlich.

»Darüber zerbreche ich mir auch den Kopf!«, erwiderte Mateo. »Aber mir fällt nichts ein. Wir wollen die Ratsversammlung einberufen.« 

Auf ein Hornsignal versammelten sich die wehrfähigen Männer auf dem Gemeinschaftsplatz vor dem Haus des Vorstehers. Denn nur sie waren stimmberechtigt. Die Frauen und Kinder waren auch gekommen und hörten zu.

»Wir haben schon viele Gefahren überstanden«, begann Mateo. »Wir haben den Wald gerodet, mit wilden Tieren gekämpft und den Unbilden der Natur getrotzt. Jetzt droht unserer Ansiedlung erneut Gefahr. Sie ist ernster, als alles, was wir bisher erlebt haben. Wir müssen beraten, was wir tun wollen.«

»Lasst uns die Riesen vertreiben«, ließ Nial sich vernehmen. »Notfalls mit Feuer und Schwert.« Er war der einzige, der außer Mateo noch über eine Waffe verfügte.

»Ich warne vor übereilten Aktionen«, äußerte Ildrisch, der ängstlicher veranlagt war. »Das wird die Sache nur verschlimmern.«

Das war auch die Meinung der Mehrheit. »Zum Kampf sind wir zu schwach«, fasste Mateo schließlich zusammen. »Selbst wenn wir unsere Freunde vom Mondsee zu Hilfe holen, würden uns die Riesen in Stücke hauen und unsere Ansiedlungen zerstören.« 

»Dann bringen wir uns in die Mitte des Sees in Sicherheit«, riet Nial. »Er ist so tief, dass uns die Riesen dorthin nicht folgen können.«

»Sie werden das nicht gestatten«, widersprach Aoris, der Ratsälteste. »Außerdem wären wir dort den Frühlings- und Herbststürmen schutzlos ausgeliefert und würden nur ein Übel mit dem anderen vertauschen.«

»Wir müssen den Dingen ihren Lauf lassen«, sagte Eknuh, der Heilkundige. »Der göttliche Plan wird sich uns zur gegebenen Zeit offenbaren.« 

Als die Redner verstummt waren, äußerte Mateo schließlich: »Wir haben alles erörtert, ohne eine Lösung zu finden. Wenn wir die Siedlung nicht aufgeben wollen, müssen wir die Forderung akzeptieren, wenn ich auch nicht weiß, wie wir sie erfüllen sollen.«

»Und uns für immer und ewig zu Vasallen der Riesen machen?«, rief ein junger Mann aus dem Zuhörerkreis. Es war der sechzehnjährige Eogan, der Sohn des Heilkundigen, der bei seinem Vater diese Kunst erlernte. »Damit können wir nicht leben.«

»Siehst du eine Möglichkeit, die Riesen ohne Gewalt loszuwerden?«, fragte Mateo.

»Ja«, erwiderte der Jüngling . »Und ich bin voller Zuversicht.«

»Dann lass hören, an was du denkst!« Mateo schaute den Jüngling aufmerksam an.

»Da wir die Eindringlinge nicht selbst vertreiben können, müssen wir uns Helfer suchen, die das vermögen.«

»Danach haben wir doch schon vergeblich gesucht«, winkte Nial verächtlich ab. »Niemand in unserer näheren Umgebung ist mächtig genug.«

 »Ich denke an Magie!«, entgegnete Eogan. »Wir müssen ein magisches Wesen um Hilfe bitten. Im Düsterwalde lebt die Hexe Ulzana, die sich mit Zaubersprüchen und Flüchen bestens auskennt. Wenn wir mit ihr ins Geschäft kommen, verkauft sie uns vielleicht einen Weggehzauber, mit dem wir die Riesen kampflos loswerden können.«

»Das lässt sich hören!«, äußerte der Vorsteher. »Einen Versuch ist es wert!«

»Aber wer soll das Wagnis eingehen?«, warf Ildrisch ein. »Die Alte ist völlig unberechenbar. Schon mancher, der sie aufgesucht hat, ist niemals zurückgekommen.«

»Das mache ich, wenn ihr mich lasst«, sagte Eogan. »Ich habe es ja vorgeschlagen.«

Mateo blinkte in die Runde. Die Ratsmitglieder nickten schweigend, Eknuh eingeschlossen. Er glaubte wohl, dass der Ratschlag der Götter aus seinem Sohn sprach. Nur Nial protestierte heftig: »Das geht nicht. Er ist ja nicht einmal wehrfähig. Wie soll er da für unseren Clan verhandeln.«

Da winkte Mateo den Jüngling nach vorn und schlug ihm mit dem blanken Schwert auf die Schulter. »Hiermit wirst du in die Gemeinschaft der wehrfähigen Männer aufgenommen«, sprach er. »Ich übertrage dir bis auf Weiteres die Führung unser Sippe. Hier hast du das Schwert des Vorstehers als Zeichen deiner Würde.«

»Er sollte nicht allein gehen«, äußerte nun Ildoven. »Wenn er einverstanden ist, begleite ich ihn … Wer schließt sich uns an?«, fragte er dann die anderen. Und als alle schwiegen, fügte er hinzu: »Wie wäre es mit dir, Ildrisch? … Wie ich eben gehört habe, weißt du eine ganze Menge über die Hexe. Das kann doch nützlich sein.«

Das war als Scherz gedacht. Ildrisch sah sich jedoch herausgefordert. Und konnte nicht ablehnen, ohne sein Gesicht zu verlieren.

»Wollt ihr mich nicht auch mitnehmen?« fragte nun Nial, der hinter Ildrisch nicht zurückstehen wollte. »Mein Schwert kann euch eine Hilfe sein.«

»Nein, besser nicht«, erwiderte Eogan lächelnd. »Mit deinem Ungestüm bringst du die Hexe am Ende noch um! … Und mehr als drei sollten es nicht sein. Sonst fühlt sich Ulzana wirklich noch bedroht.«